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Braungebrannt

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Braungebrannt

Ich muss was tun, so geht es nicht weiter. Überall, wo ich zurzeit hinkomme, soll ich erzählen, wie meine Ferien gewesen seien. Ich war aber gar nicht in den Ferien. Ich bin bloss braungebrannt, weil das Wetter hier oben an der Lenk in den letzten Wochen einfach derart schön war, dass mich die warme März- und Aprilsonne ständig ins Freie lockte. Wann immer möglich, suchte ich mir ein schönes Plätzchen und genoss den Vorgeschmack auf den Sommer. Sogar einen Teil meiner Lese- und Schreibarbeit erledigte ich draussen; drinnen in meinem Büro hielt mich bei diesem Prachtswetter nichts. Meine Fantasie wurde angeregt, so manche Textidee kam mir leicht wie eine Sommerbrise vom wolkenlosen Blau zugeflogen. Wenn man als Auftragsverfasser oder – wie hier – periodisch etwas Inhaltsreiches und möglichst Schlaues zusammenschreiben soll, ist dies ein wahres Geschenk des Himmels!

Nun leidet aber mein sorgsam aufgebautes Image eines seriösen Werktätigen. Wie kann ich denn glaubhaft machen, dass ich gleichzeitig arbeiten und das schöne Wetter geniessen kann? Wie soll ich über Stress und nächtliche Arbeit jammern, wenn ich den Eindruck erwecke, ich hätte die letzten vierzehn Tage auf einer Südseeinsel verbracht? Das T-Shirt hochzureissen und zu zeigen, dass darunter die bleiche Winterhaut keineswegs tropische Sonne genossen hat, verbietet mir in der Regel der Anstand. Nachts regelmässig E-Mails zu verschicken, um zu dokumentieren, dass ich rund um die Uhr am Werkeln bin, würde auch nichts beweisen – sie liessen sich von überall her abschicken, auch vom kleinsten Internet-Café auf den Malediven. Was soll ich also tun, um den «Sunny Boy» abzuschütteln und wieder als seriöser Workaholic zu gelten?

Ein Berufswechsel zum Bademeister könnte da ins Auge gefasst werden. Eher noch als Bergführer, denn in den Alpen kenne ich mich als zugezogener Stadtberner doch zu wenig aus. Zudem bin ich nicht schwindelfrei. Als einst eifriger Marzili-Besucher und Aare-Schwimmer dürfte ich das Bademeister-Brevet jedoch schaffen. Sofern das Sprungbrett nicht zu hoch ist – auch hier droht Höhenangst. Aber halt, Pool-Aufseher sind nicht schon vor der Sommersaison braungebrannt. Da müsste also doch was anderes her. Skilehrer käme in Frage. Die sind ja umso dunkelhäutiger, je länger der Winter dauert. Die Bräunung hätte ich bereits, da wären die Voraussetzungen gut. Die fehlende Fitness, die nicht perfekte fahrerische Technik und das wohl zu fortgeschrittene Alter aber wären Hürden, die kaum zu überwinden wären. Also wieder nichts. Ich grüble weiter.

Zu dumm, bei all dem Hirnen über eine Schönwetter kompatible Joblösung bin ich erneut voll in der Sonne gesessen. Meine Haut ist noch um eine Spur schokoladenfarbiger geworden. Eine plausible Lösung ist nicht in Sicht. Oder sollte ich gar mutig auf die gängige Meinung pfeifen, erst nach getaner Arbeit komme das Vergnügen, nicht gleichzeitig? Dann könnte ich ungeniert erzählen, mein Urlaub sei wunderbar gewesen. An der sonnigen Lenk, dänk. Dabei braucht ja niemand zu erfahren, dass ich während meiner ganzen Ferien auch fleissig gearbeitet habe. Das würde ohnehin keiner verstehen.

Erstellt am: 26.04.2007

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